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Verordnung zur Ausführung der gesetzesvertretenden Verordnung
zum Schutz vor sexualisierter Gewalt

Vom 16. Juli 2022

KABl. S. 228, Nr. 125

Der Rat der Landeskirche hat aufgrund von § 11 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt vom 26. Februar 2021 (KABl. S. 40) die folgende Verordnung beschlossen:
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Abschnitt I – Erweiterte Führungszeugnisse (zu § 6)

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§ 1
Vorlagepflicht

( 1 ) Beschäftigte im Rahmen eines Freiwilligendienstes (zum Beispiel Freiwilliges Soziales Jahr, Bundesfreiwilligendienst) oder einer Arbeitsgelegenheit im Sinne des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (Ein-Euro-Job) gelten als Mitarbeitende im Sinne von § 1 Absätze 1 und 3 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt.
( 2 ) Für Praktikantinnen und Praktikanten gilt § 6 Absatz 3 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt entsprechend.
( 3 ) In Honorarverträgen sind die Geltung der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und die Vorlage eines Erweiterten Führungszeugnisses zu vereinbaren, wenn die Bewertung der Honorartätigkeit anhand von Art, Intensität und Dauer des Kontakts mit Minderjährigen und Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen die Vorlage erfordert (Anlage 1).
( 4 ) Die Feststellung, ob ein Erweitertes Führungszeugnis nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt vorzulegen ist, trifft das Leitungsorgan oder eine von diesem beauftragte Stelle, zum Beispiel eine Personalverwaltung. Die Entscheidung ist zu dokumentieren.
( 5 ) Einen vergleichbaren Kontakt zu Kindern und Jugendlichen im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt haben insbesondere Beschäftigte, die im Rahmen ihres Dienstes Kontakt zu Kindern oder Jugendlichen haben können.
( 6 ) Ob ein Erweitertes Führungszeugnis gemäß § 6 Absatz 3 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt von Ehrenamtlichen aufgrund von Art, Intensität und Dauer des Kontakts mit Minderjährigen und Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen vorgelegt werden muss, entscheidet das Leitungsorgan. Die Entscheidung ist anhand der Anlage 1 zu treffen und zu dokumentieren.
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§ 2
Fristen

( 1 ) Die Vorlagefrist gemäß § 6 Absatz 2 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt beträgt für Pfarrerinnen und Pfarrer, Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamte und privatrechtlich Beschäftigte im Sinne von § 6 Absatz 1 Nummer 1 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt drei Jahre.
( 2 ) Durch Gesetz, Arbeitsrechtsregelung oder Vereinbarung geregelte kürzere Vorlagefristen, insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, bleiben unberührt.
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§ 3
Verfahren

( 1 ) Ist die Vorlage eines Erweiterten Führungszeugnisses erforderlich, so wird es von der beauftragten Stelle oder einer beauftragten Person des Leitungsorgans eingesehen. Die Einsichtnahme ist zu dokumentieren. Das Erweiterte Führungszeugnis verbleibt bei der vorlegenden Person. Der Arbeitgeber speichert lediglich den Umstand der Einsichtnahme, das Datum des Führungszeugnisses und die Information, ob die das Führungszeugnis betreffende Person wegen einer gemäß § 6 Absatz 1 Nummer 1 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt genannten Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist. Die Anfertigung einer Kopie ist unzulässig. Die Originale der Führungszeugnisse werden von den Vorlagepflichtigen aufbewahrt und sind auf Verlangen erneut vorzulegen.
( 2 ) Soweit eine Gebührenbefreiung nicht greift, trägt der Anstellungsträger oder der Träger der kirchlichen Arbeit die Kosten des Erweiterten Führungszeugnisses.
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§ 4
Übergangsregelungen

( 1 ) Für Mitarbeitende, die bereits beschäftigt werden und die bisher kein Erweitertes Führungszeugnis vorlegen mussten, muss die Aufforderung zur Vorlage des Erweiterten Führungszeugnisses so rechtzeitig erfolgen, dass es spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten dieser Verordnung vorgelegt werden kann. Gleiches gilt für die Ehrenamtlichen und Honorarkräfte, die bereits tätig sind und erstmalig ein Erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen.
( 2 ) Für Mitarbeitende, die nach geltendem Recht bereits einmalig ein Erweitertes Führungszeugnis vorlegen mussten und nun gemäß § 6 Absatz 1 Nummer 1 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt regelmäßig ein Erweitertes Führungszeugnis vorzulegen haben, gilt eine Frist für die erneute Vorlage, die sich ab dem letzten Vorlagedatum berechnet, sofern seit der letzten Vorlage nicht drei Jahre vergangen sind. Sind drei Jahre vergangen, muss die Aufforderung zur Vorlage des Erweiterten Führungszeugnisses so rechtzeitig erfolgen, dass es spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten dieser Verordnung vorgelegt werden kann.
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Abschnitt II – Ansprech- und Meldestelle (zu §§ 7 und 8)

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§ 5
Einrichtung

Die Mitarbeit in der Ansprech- und Meldestelle setzt insbesondere Kenntnisse im Themenbereich sexualisierte Gewalt in Organisationen und im Umgang mit traumatisierten Menschen, Kenntnisse in Gesprächsführung und Konfliktbearbeitung und kontinuierliche Fortbildung voraus.
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§ 6
Verfahren

( 1 ) Anfragen an die Ansprech- und Meldestelle sind keine therapeutische, rechtliche oder seelsorgerliche Beratung und fallen insoweit nicht unter das Seelsorgegeheimnis. Anfragende sind darauf hinzuweisen.
( 2 ) Mitarbeitende der Ansprech- und Meldebestelle sind verpflichtet, im Fall der Befangenheit die Beratung suchende oder meldende Person darauf hinzuweisen und sie an eine Stellvertretung oder eine unabhängige Fachberatungsstelle zu verweisen.
( 3 ) Sind Mitarbeitende selbst von sexualisierter Gewalt betroffen, sind sie von der Pflicht zur Meldung befreit.
( 4 ) Alle, auch anonymisierte Beratungsanfragen und Meldungen sind in standardisierter Form zu dokumentieren.
( 5 ) Die Dokumentation ist an den zuständigen kirchlichen Träger oder an die zuständige dienstaufsichtsführende Stelle weiterzuleiten.
( 6 ) Ist ein Verdacht auf sexualisierte Gewalt oder unangemessenes Verhalten entkräftet, sind geeignete Rehabilitationsmaßnahmen (Nachsorge- und Aufarbeitungsmaßnahmen) zu prüfen.
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§ 7
Präventionsschulungen

( 1 ) Alle Mitarbeitenden sind nach § 5 Absatz 3 Nummer 5 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt über die geltenden Regelungen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck zu informieren, insbesondere zu Nähe- und Distanzverhalten, grenzachtendem Verhalten und zu Präventions- und Interventionsmaßnahmen. Diese Schulung dauert mindestens drei Stunden.
( 2 ) Alle Mitarbeitenden, die Kontakt zu Minderjährigen und Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen haben, müssen darüber hinaus im Erkennen von Risiken, von unangemessenem Verhalten oder dem Verdacht auf Straftaten und den nötigen Interventionsschritten geschult werden. Diese Schulung dauert mindestens sechs Stunden.
( 3 ) Hauptberufliche Mitglieder von Leitungsorganen nach § 5 der gesetzesvertretenden Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt müssen zu ihren Pflichten bei der Implementierung und Weiterentwicklung von Schutzkonzepten geschult werden. Darüber hinaus müssen Dienstvorgesetzte zu den rechtlichen Interventionspflichten und -optionen geschult werden.
( 4 ) Alle Mitarbeitenden müssen spätestens alle drei Jahre Auffrischungs- oder Vertiefungsschulungen absolvieren.
( 5 ) Die Ansprech- und Meldestelle bietet Vorlagen für Präventionsschulungen an und berät Leitungsorgane zum Inhalt dieser Schulungen.
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Abschnitt III – Beirat

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§ 8
Beirat

( 1 ) Das Landeskirchenamt richtet zur Begleitung der Arbeit zum Schutz vor sexualisierter Gewalt einen Beirat ein.
( 2 ) Der Beirat hat folgende Aufgaben:
  1. Entgegennahme von Berichten der mit der Koordinierung für das Thema sexualisierte Gewalt beauftragten Personen.
  2. Impulse und Anregungen für die Arbeit im Themenfeld sexualisierter Gewalt zu geben.
  3. Regelungen und Material im Themenfeld sexualisierte Gewalt vorzubereiten.
( 3 ) Dem Beirat gehören mindestens vier, höchstens sechs Mitglieder an, darunter
  1. eine Pröpstin oder ein Propst,
  2. eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter aus der Stabsstelle Kommunikation,
  3. ein rechtskundiges Mitglied und
  4. ein Mitglied mit Fachkompetenz im Bereich Prävention und Beratung in Fällen sexualisierter Gewalt.
Es soll mindestens ein Mitglied berufen werden, das nicht beruflich im kirchlichen Dienst steht oder Mitglied eines Leitungsorgans der Landeskirche ist.
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§ 9
Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Kirchlichen Amtsblatt in Kraft.
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Anlage 1:
Gefährdungspotenzial nach Art, Intensität und Dauer
Niedrig
Hoch
Art
Kein Missbrauch eines besonderen Vertrauensverhältnisses möglich
Missbrauch eines besonderen Vertrauensverhältnisses möglich
Kein Hierarchie-/Machtverhältnis
Bestehen eines Hierarchie-/Machtverhältnisses
Merkmal der Schutzbefohlenen [Minderjährige bzw. Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen], zu denen Kontakt besteht:
keine Behinderung, kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, Verletzlichkeit
Merkmal der Schutzbefohlenen [Minderjährige bzw. Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen], zu denen Kontakt besteht:
Behinderung, besonderes Abhängigkeitsverhältnis, Verletzlichkeit
Merkmal bei Kindern und Jugendlichen, zu denen Kontakt besteht:
höheres Alter, keine Altersdifferenz
Merkmal bei Kindern und Jugendlichen, zu denen Kontakt besteht:
junges Alter, signifikante Altersdifferenz
Intensität
Tätigkeit wird gemeinsam mit anderen wahrgenommen
Tätigkeit wird allein oder eigenverantwortlich wahrgenommen
Sozial offener Kontext hinsichtlich
  • Räumlichkeit (einsehbar) oder
  • struktureller Zusammensetzung oder Stabilität der Gruppe
Sozial geschlossener Kontext hinsichtlich
  • Räumlichkeit (nicht einsehbar) oder
  • struktureller Zusammensetzung oder Stabilität der Gruppe
Tätigkeit mit Gruppen
Tätigkeit mit Einzelnen
Geringer Grad an Intimität
Hoher Grad an Intimität
Kein Wirken in der Privatsphäre der Schutzbefohlenen (z. B. Körperkontakt) [Minderjährige bzw. Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen]
Oder: Berührung der persönlichen Sphäre des Kindes, Jugendlichen bzw. Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen (z. B. sensible Themen, Körperkontakte)
Wirken in der Privatsphäre der Schutzbefohlenen (z. B. Körperkontakt) [Minderjährige bzw. Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen]
Oder: Berührung der persönlichen Sphäre des Kindes, Jugendlichen bzw. Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen (z. B. sensible Themen, Körperkontakte)
Dauer
Einmalig/punktuell/gelegentlich
Von gewisser Dauer/Regelmäßigkeit/umfassende Zeitspanne
Regelmäßig wechselnde [Minderjährige bzw. Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen]
Dieselben [Minderjährige bzw. Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen] für gewisse Dauer
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