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Gesetzesvertretende Verordnung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt

Vom 26. Februar 2021

KABl. S. 40

Änderungen

Lfd. Nr.
Änderndes Recht
Datum
Fundstelle
1
Bestätigung der Landessynode
8. Juli 2021
2
Gesetzesvertretende Verordnung
16. Juli 2022
3
Gesetzesvertretende Verordnung1#
21. November 2022
Der Rat der Landeskirche hat aufgrund von Artikel 132 Buchstabe a) der Grundordnung folgende gesetzesvertretende Verordnung beschlossen:
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Präambel

Aus dem christlichen Menschenbild erwachsen die Verantwortung und der Auftrag, Menschen im Wirkungskreis der Kirche, insbesondere Kinder, Jugendliche und hilfe- und unterstützungsbedürftige Menschen sowie Menschen in Abhängigkeitsverhältnissen (im Folgenden: Minderjährige und Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen) vor sexualisierter Gewalt zu schützen und ihre Würde zu achten. Dies beinhaltet auch den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und ihre Diakonie setzen sich gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), den anderen Gliedkirchen und der Diakonie Deutschland sowie den anderen gliedkirchlichen diakonischen Werken und ihren Einrichtungen für einen wirksamen Schutz vor sexualisierter Gewalt ein und wirken auf Aufklärung und Hilfe zur Unterstützung Betroffener hin. Vor dem Hintergrund der sexualisierten Gewalt auch im Bereich der evangelischen Kirche in den zurückliegenden Jahren verpflichtet der kirchliche Auftrag alle in der Kirche Mitwirkenden zu einer Haltung der Achtsamkeit, der Aufmerksamkeit, des Respekts und der Wertschätzung sowie des grenzachtenden Verhaltens durch Wahrung persönlicher Grenzen gegenüber jedem Mitmenschen.
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§ 1
Ziel, Zweck und Geltungsbereich

( 1 ) Wer kirchliche Angebote wahrnimmt oder als mitarbeitende Person im Geltungsbereich dieses Gesetzes tätig ist, ist vor allen Formen sexualisierter Gewalt zu schützen.
( 2 ) Zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags gehört eine Kultur des Respekts und des grenzachtenden Verhaltens. Dieser Kultur sind alle Mitarbeitenden verpflichtet.
( 3 ) Dieses Gesetz regelt Anforderungen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Maßnahmen zu deren Vermeidung (Prävention) sowie Verfahrensweisen in Fällen, in denen sexualisierte Gewalt zu vermuten ist oder vorliegt (Intervention), und Hilfe in Fällen sexualisierter Gewalt in der Vergangenheit (Aufarbeitung). Diese Anforderungen gelten in allen kirchlichen Körperschaften der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.
( 3 ) Mitarbeitende im Sinne dieses Gesetzes sind alle in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis oder zu ihrer Ausbildung Beschäftigte sowie ehrenamtlich Tätige.
( 4 ) Den sonstigen Einrichtungen, die bei der Erfüllung des kirchlichen Auftrags in Wort und Tat im Einklang mit dem Selbstverständnis der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck kontinuierlich verbunden sind, wird empfohlen, das Gesetz aufgrund von Beschlüssen ihrer Gremien entsprechend anzuwenden. Die Diakonie Hessen stellt durch eigene Grundsätze und Richtlinien den Schutz von Minderjährigen und Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen in ihrem Zuständigkeitsbereich sicher, soweit dieser Schutz nicht bereits durch staatliche Gesetze oder entsprechende Regelungen gewährleistet ist.
( 5 ) Weitergehende staatliche Regelungen bleiben unberührt.
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§ 2
Begriffsbestimmung sexualisierter Gewalt

( 1 ) Nach diesem Gesetz ist eine Verhaltensweise sexualisierte Gewalt, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird. Sexualisierte Gewalt kann verbal, nonverbal, durch Aufforderung oder durch Tätlichkeiten geschehen. Sie kann auch in Form des Unterlassens geschehen, wenn die Täterin oder der Täter für deren Abwendung einzustehen hat. Sexualisierte Gewalt ist immer bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach dem 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches (StGB) und § 201a Absatz 3 StGB oder §§ 232 bis 233a StGB in der jeweils geltenden Fassung gegeben.
( 2 ) Sexuell bestimmtes Verhalten im Sinne des Absatzes 1 gegenüber Minderjährigen kann unerwünscht sein, wenn eine körperliche, seelische, geistige, sprachliche oder strukturelle Unterlegenheit und damit eine gegenüber der Täterin oder dem Täter bestehende fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung gegeben ist. Gegenüber Kindern, das heißt bei Personen unter 14 Jahren, ist das sexuell bestimmte Verhalten stets als unerwünscht und insofern als sexualisierte Gewalt anzusehen.
( 3 ) Sexuell bestimmtes Verhalten im Sinne des Absatzes 1 gegenüber Volljährigen kann insbesondere unerwünscht sein, wenn die Person aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist.
( 4 ) Unangemessene Verhaltensweisen sind ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, welches die Grenze zur sexualisierten Gewalt im Sinne von Absatz 1 bis 3 nicht überschreitet, aber mit dem Abstinenz- und Abstandsgebot (§ 4), einer Kultur des Respekts und der Grenzachtung unvereinbar ist.
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§ 3
Rechte von Betroffenen von sexualisierter Gewalt

Betroffene von sexualisierter Gewalt
  1. haben ein Recht auf Schutz vor allen Formen sexualisierter Gewalt,
  2. werden in einem akuten Verdachtsfall im Rahmen der Intervention gemäß § 6 Absatz 1 angemessen unterstützt,
  3. erhalten auf Antrag Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen gemäß § 10,
  4. haben gemäß § 5 Absatz 3 Nummer 8 ein Recht auf geregelte und öffentlich bekannt gemachte Beschwerdewege und Gehör; das schließt auch die Klärung eines Verdachts (Clearing) und die Intervention auf Grundlage des Rahmenschutzkonzeptes gemäß § 5 Absatz 1 Nummer 2 und § 7 Absatz 3 Nummer 5 ein.
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§ 4
Grundsätze

( 1 ) Obhutsverhältnisse, wie sie insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit einschließlich Bildungsarbeit für Minderjährige und Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen sowie in Seelsorge-, Beratungs- und Vertrauensbeziehungen entstehen, die sich aus der Wahrnehmung der Aufgaben der Mitarbeitenden ergeben, dürfen nicht zur Befriedigung eigener Interessen und Bedürfnisse, für sexuelle Kontakte oder andere, sexuell bestimmte grenzüberschreitende Wünsche missbraucht werden. Das ist mit dem kirchlichen Schutzauftrag unvereinbar und daher unzulässig (Abstinenzgebot).
( 2 ) Alle Mitarbeitenden haben bei ihrer beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit das Nähe- und Distanzempfinden des Gegenübers zu achten (grenzachtendes Verhalten, Abstandsgebot).
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§ 5
Verantwortung der Leitungsorgane für Maßnahmen im Umgang mit sexualisierter Gewalt

( 1 ) Leitungsorgane von Einrichtungen und Körperschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes müssen jeweils für ihren Bereich
  1. institutionelle Schutzkonzepte aufgrund einer Risikoanalyse zum Schutz vor sexualisierter Gewalt mit dem Ziel erstellen, strukturelle Maßnahmen zur Prävention dauerhaft zu verankern (Präventionsmaßnahmen);
  2. in begründeten Verdachtsfällen bei sexualisierter Gewalt angemessen im Rahmen strukturierter Handlungs- und Notfallpläne intervenieren (Clearing und Interventionsmaßnahmen nach Rahmenschutzkonzept);
  3. Betroffene, denen im Verantwortungsbereich dieses Gesetzes Unrecht durch sexualisierte Gewalt angetan wurde, in angemessener Weise unterstützen (individuelle Unterstützungsmaßnahmen);
  4. Ursachen, Geschichte und Folgen sexualisierter Gewalt aufarbeiten, wenn das Ausmaß des Unrechts dazu Anlass bietet (institutionelle Aufarbeitungsprozesse).
( 2 ) Körperschaften und Einrichtungen werden von der Landeskirche durch das Rahmenschutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt und die Ansprech- und Meldestelle (§ 7 f.) unterstützt.
( 3 ) Die Leitungsorgane müssen sich bei der Implementierung und Weiterentwicklung institutioneller Schutzkonzepte in ihrem Verantwortungsbereich insbesondere an folgenden Standards orientieren:
  1. einrichtungsspezifische Verankerung der Verantwortung zur Prävention;
  2. regelmäßige Thematisierung der Fragen und besonderer Vorkommnisse sexualisierter Gewalt in Leitungsgremien inklusive der Verpflichtung, Hinweisen auf täterschützende Strukturen nachzugehen;
  3. einrichtungs- und arbeitsfeldspezifischer Verhaltenskodex oder Selbstverpflichtungserklärung von Mitarbeitenden, deren Inhalte regelmäßig zum Gesprächsgegenstand gemacht und weiterentwickelt werden;
  4. transparente Regelung, wer ein erweitertes Führungszeugnis nach den Kriterien des Rahmenschutzkonzepts vorzulegen hat;
  5. Schulungsverpflichtungen aller Mitarbeitenden zum Nähe- und Distanzverhalten, zu grenzachtendem Verhalten und zur Prävention zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in Zusammenarbeit mit der Ansprech- und Meldestelle (§ 7),
  6. Partizipations- und Präventionsangebote sowie sexualpädagogische Konzepte für Minderjährige und Volljährige in Abhängigkeitsverhältnissen unter Beteiligung und Einbeziehung der Erziehungsberechtigten und Betreuenden;
  7. Einleitung eines Clearingverfahrens bei jedem Verdacht sexualisierter Gewalt im Sinne von § 2 Absätze 1 bis 4; Meldepflichten auf anderer gesetzlicher Grundlage bleiben davon unberührt;
  8. Bereitstellen von Notfall- oder Handlungsplänen, die ein gestuftes Vorgehen im Fall eines Verdachts auf sexualisierte Gewalt (§ 7), die Vernetzung mit regionalen Fachberatungsstellen, den Aufbau, die Regelung und Bekanntmachung leicht zugänglicher, regionaler Beschwerdewege für Betroffene vorsehen.
( 4 ) Mitarbeitende sind in geeigneter Weise auf ihre aus diesem Gesetz folgenden Rechte und Pflichten hinzuweisen. Verpflichtungen nach den Vorschriften des staatlichen Rechts zum Schutz Minderjähriger oder Volljähriger in einem Abhängigkeitsverhältnis bleiben unberührt.
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§ 6
Einstellungsverbot, Beendigung und Tätigkeitsausschluss

( 1 ) Für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse oder privatrechtliche Beschäftigungsverhältnisse gelten folgende Grundsätze:
  1. Wer Kinder und Jugendliche und andere Schutzbefohlene im Sinne von § 225 StGB beaufsichtigt, betreut, erzieht oder ausbildet, zu diesen einen vergleichbaren Kontakt hat oder dauerhafte Leitungstätigkeit mit Dienst- oder Fachvorgesetztenfunktion ausübt, kommt zur Einstellung im Geltungsbereich dieses Gesetzes nicht in Betracht, wenn er oder sie wegen einer in § 72a Absatz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe –, in der jeweils geltenden Fassung bezeichneten Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.
  2. Während der Dauer des Dienst- oder Beschäftigungsverhältnisses stellt jede Ausübung von sexualisierter Gewalt im Sinne von § 2 oder ein Verstoß gegen das Abstinenzgebot im Sinne von § 4 eine Verletzung arbeits- bzw. dienstrechtlicher Pflichten dar. Die Ausübung von sexualisierter Gewalt oder der Verstoß gegen das Abstinenzgebot sowie der Verdacht darauf führen zu den jeweils entsprechenden arbeits- bzw. dienstrechtlichen Maßnahmen.
  3. Kann trotz einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Straftat nach Nummer 1 das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis oder das privatrechtliche Beschäftigungsverhältnis nicht beendet werden, darf die betreffende Person keine Aufgaben in einer Körperschaft oder Einrichtung wahrnehmen, die insbesondere die Bereiche
    1. Schule, Bildungs- und Erziehungsarbeit,
    2. Kinder- und Jugendhilfe,
    3. Pflege durch Versorgung und Betreuung von Menschen aller Altersgruppen,
    4. Verkündigung und Liturgie, einschließlich Kirchenmusik,
    5. Seelsorge und
    6. Leitungsaufgaben
    zum Gegenstand haben oder in denen in vergleichbarer Weise die Möglichkeit eines Kontaktes zu Minderjährigen und zu Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen besteht.
( 2 ) Um den Einstellungs- und Tätigkeitsausschluss gewährleisten zu können, müssen alle Personen gemäß Absatz 1 Nummer 1, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder in einem privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis stehen, bei der Einstellung und in regelmäßigen Abständen von längstens fünf Jahren ein erweitertes Führungszeugnis nach § 30a des Bundeszentralregistergesetzes vorlegen. Die Kosten trägt der Dienstgeber.
( 3 ) Für ehrenamtlich Tätige wird je nach Art, Intensität und Dauer des Kontakts dieser Personen mit Minderjährigen oder Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen zu Beginn und während der Tätigkeit in regelmäßigen Abständen die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verlangt. Näheres regelt das Rahmenschutzkonzept (§ 5 Absätze 2 und 3 Nummer 4).
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§ 7
Ansprech- und Meldestelle, Stellung und Aufgaben

( 1 ) Zur Umsetzung und Koordination der Aufgaben nach § 5 errichtet die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck eine Ansprech- und Meldestelle für Fälle sexualisierter Gewalt.
( 2 ) Die Ansprech- und Meldestelle ist eine dem Schutz Minderjähriger und dem Schutz Volljähriger in einem Abhängigkeitsverhältnis sowie der Unterstützung Betroffener verpflichtete Stelle und nimmt eine betroffenenorientierte Haltung ein. Sie ist verpflichtet, Hinweisen auf täterschützende Strukturen nachzugehen. Sie nimmt ihre Aufgaben selbständig und, in Fällen des Clearings bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt, frei von Weisungen wahr. Sie ist mit den erforderlichen Ressourcen auszustatten.
( 3 ) Die Ansprech- und Meldestelle hat unbeschadet der rechtlichen Verantwortung und der Zuständigkeiten der jeweiligen Leitung einer Körperschaft oder Einrichtung insbesondere folgende Aufgaben:
  1. Sie berät bei Bedarf die jeweilige Leitung in Fragen der Prävention, Intervention, Unterstützung und Aufarbeitung und koordiniert entsprechende Maßnahmen.
  2. Sie unterstützt sie bei der Präventionsarbeit, insbesondere bei der Implementierung und Weiterentwicklung von institutionellen Schutzkonzepten, und geht Hinweisen auf täterschützende Strukturen nach.
  3. Sie entwickelt Standards für die Präventionsarbeit (fachliche Weiterentwicklung des Rahmenschutzkonzepts), erarbeitet Informationsmaterial, entwickelt Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote zur Prävention und koordiniert hierzu die Bildungsarbeit.
  4. Sie unterstützt bei Vorfällen sexualisierter Gewalt im Rahmen des jeweils geltenden Notfall- und Handlungsplanes (§ 5 Absatz 3 Nummer 8).
  5. Sie nimmt als Ansprechstelle Anfragen bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt oder bei unangemessenem Verhalten entgegen (§ 8 Absatz 1), prüft und bewertet, bei Bedarf mit Hilfe externer Expertise, die Schwere und Art des Verdachts, die Plausibilität und tatsächliche Anhaltspunkte (Clearing). Sie wahrt auf Wunsch die Vertraulichkeit der Identität hinweisgebender Personen und sorgt als Meldestelle dafür, dass begründete Verdachtsfälle bearbeitet, insbesondere den zuständigen Stellen gemeldet und die notwendigen Maßnahmen der Intervention und Aufarbeitung veranlasst werden. Sie dokumentiert Anfragen und Meldungen auf standardisierte Weise unter Wahrung des Datenschutzes.
  6. Sie nimmt Anträge Betroffener auf Leistungen zur Anerkennung erlittenen Unrechts entgegen und leitet diese an die Unabhängige Kommission zur Entscheidung weiter.
  7. Sie sorgt dafür, dass die Einwilligung Betroffener vorliegt, wenn personenbezogene Daten weitergeleitet oder verarbeitet werden.
  8. Sie koordiniert ihre Aufgaben auf gesamtkirchlicher Ebene, indem sie in der Konferenz für Prävention, Intervention und Hilfe in Fällen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung auf der Ebene der EKD mitarbeitet.
  9. Sie wirkt mit der Zentralen Anlaufstelle.help zusammen.
( 4 ) Arbeits- und dienstrechtliche Zuständigkeiten und Verpflichtungen der jeweiligen Körperschaft oder Einrichtung bleiben von den Maßgaben der Absätze 1 bis 3 unberührt. Unberührt bleiben auch gesetzliche Melde- oder Beteiligungspflichten, die sich insbesondere aus Vorschriften des Kinder- und Jugendschutzes ergeben.
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§ 8
Verfahren bei Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt (Clearing/Intervention)

( 1 ) Liegt ein Verdacht auf sexualisierte Gewalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes gemäß § 2 Absätze 1 bis 3 vor, haben alle Mitarbeitenden, die davon Kenntnis erlangen, die Pflicht, dies der Ansprech- und Meldestelle mitzuteilen. Unangemessene Verhaltensweisen gemäß § 2 Absatz 4 sind vor Ort anzusprechen und zu unterbinden. Falls dies keinen Erfolg hat, ist die Ansprech- und Meldestelle einzuschalten. Mitarbeitende haben das Recht, sich bei unklaren Sachverhalten beraten zu lassen. Meldung und Beratung sind unter Wahrung der Vertraulichkeit der Identität zu ermöglichen.
( 2 ) Arbeits- und dienstrechtliche Pflichten, insbesondere zum Schutz des Beichtgeheimnisses und der seelsorglichen Schweigepflicht, bleiben unberührt.
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§ 9
Unabhängige Anerkennungskommission

( 1 ) Um Betroffenen, die sexualisierte Gewalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes erfahren haben, Unterstützung anzubieten, beruft der Rat der Landeskirche eine Unabhängige Anerkennungskommission, die auf Wunsch Betroffener Gespräche führt und ihre Erfahrungen und Geschichte würdigt.
( 2 ) Außerdem entscheidet sie über Anträge gemäß § 10.
( 3 ) Die Unabhängige Anerkennungskommission soll mit mindestens drei Personen besetzt sein, die unterschiedliche berufliche und persönliche Erfahrungen in die Kommissionsarbeit einbringen. Die Kommissionsmitglieder sind ehrenamtlich tätig. Sie sind in ihren Entscheidungen frei und nicht an Weisungen gebunden.
( 4 ) Die Zuständigkeit der Unabhängigen Anerkennungskommission kann im Einvernehmen mit der Diakonie Hessen auf ihren Bereich erweitert werden.
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§ 10
Unterstützung für Betroffene (individuelle Aufarbeitung)

( 1 ) Die Landeskirche bietet Personen auf Antrag Unterstützung durch immaterielle und materielle Leistungen (Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen) an, wenn dieses durch organisatorisch-institutionelles Versagen, Verletzung der Aufsichtspflichten oder sonstiger Pflichten zur Sorge durch Mitarbeitende geschah und Schmerzensgeld- oder Schadensersatzansprüche zivilrechtlich nicht mehr durchsetzbar sind.
( 2 ) Diese Unterstützung erfolgt freiwillig ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne dass durch diese Regelung ein Rechtsanspruch begründet wird. Bereits erbrachte Unterstützungsleistungen, insbesondere nach kirchlichen Regelungen, können angerechnet werden.
( 3 ) Die kirchliche Körperschaft oder Einrichtung, in der die sexualisierte Gewalt stattgefunden hat, soll sich an der Unterstützungsleistung beteiligen.
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§ 11
Ermächtigung

Das Nähere insbesondere über
  • die Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses gemäß § 6 Absatz 2 Nr. 3,
  • die Ausgestaltung der Ansprech- und Meldestelle gemäß §§ 7, 8 und
  • die Arbeit der Unabhängigen Kommission gemäß §§ 9, 10
regelt der Rat der Landeskirche durch Rechtsverordnung.
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§ 12
Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Bekanntmachung im Kirchlichen Amtsblatt in Kraft.

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1 ↑ Nr. 1.Bestätigt durch Beschluss der Landessynode vom 21. November 2022 (KABL. S. 365).